Von den schönen Künsten und den weniger Begabten

Als mein kleiner Sohn vor einiger Zeit zur Schulvoruntersuchung geladen war, musste ich leise in mich hinein schmunzeln, als er zielgerichtet aus den ihm dargebotenen Buntstiften den einzigen Bleistift ergriff, um einen Menschen ( auf das Wesentlich reduziert und ohne Nase und Mund) zu zeichnen. Dieselbe Wahl traf er für das Nachmalen geometrischer Formen. Alles andere hätte mich aber auch stark irritiert, denn ich kenne von meinen Söhnen fast ausschließlich Bleistiftzeichnungen, die meistens Panzer, Schiffe oder sich im Krieg befindliche Strichmännchen in Miniatur zeigen. Für mich, die ich von klein auf mit Hingabe Menschen und Kleider in allen erdenklichen Farben gemalt habe, eine eher befremdliche Vorliebe. Umso mehr freut es mich, dass der neue Kunstlehrer meines großen Sohnes sein Lieblingslehrer ist. Vielleicht schafft er es ja, ihn für Neues zu begeistern. Denn ob meine Kinder begabt sind oder nicht, kann ich wirklich nicht sagen. Ihnen fehlt schlichtweg die Übung und (bisher) das Interesse. Oft erlebe ich, dass Eltern ihre Kinder vorschnell als ungeeignet abstempeln und sie in eine andere Richtung pushen, obwohl Talent nur ein Teil des Könnens ist. Der andere Teil sind Motivation, Anleitung und vor allem Übung. Ich habe selbst miterlebt, wie Schüler(innen), die zu Beginn des Unterrichtsjahres zu wenig mehr als zum Zeichnen eines Mondgesichts fähig waren, am Ende des Schuljahres wirklich gute Portraits zeichnen konnten. Sie haben ihr Auge geschult und durch Wiederholung gelernt. Das Gleiche gilt für Musikalität. Natürlich gibt es die Sorte von Menschen, die Rhythmus im Blut haben und von klein auf jeden Ton treffen. Was aber nicht den Umkehrschluss zulässt, dass bei einem Kind, das schief singt, Hopfen und Malz verloren sind. Sein Gehör benötigt einfach eine gewisse Schulung, um die richtigen Töne zu erkennen. Auch diesen Prozess durfte ich miterleben, als mein zunächst scheinbar unmusikalischer Sohn in zwei Jahren Instrumentalunterricht quasi als Begleiterscheinung gelernt hat, wunderbar zu singen. Und selbst Tanzen kann jemand lernen, der kein Rhythmusgefühl hat, wobei das sicherlich zu den größeren Herausforderungen für einen Lehrer zählt. Muss aber ja auch nicht gleich eine Primaballerina werden. Nicht jeder muss alles können und es macht sicherlich Sinn, seinen offensichtlichen Talenten zu folgen und anderes sein zu lassen, aber vielleicht sollte man manchmal zweimal hinschauen und es nicht gleich abtun, wenn ein scheinbar minderbegabtes Kind Interesse für etwas zeigt, dass man ihm so nicht gleich zutraut. Gerade Geschwisterkinder werden ja gerne mal in eine Schublade gesteckt, wenn die Begabung schon anderweitig vergeben wurde. Und das ist schade, denn dazu sind sie schönen Künste einfach zu schön!

Ein Gedanke zu „Von den schönen Künsten und den weniger Begabten

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s