#NichtMeineLager

Zuhause auf meinem bequemen Sofa im warmen Zimmer dreht sich alles um die Einschränkungen, die wir durch Corona hinnehmen müssen. Was sie mit uns machen, wie wir damit umgehen. An den Grenzen zur EU toben ganz andere Kämpfe und ich hadere immer wieder damit, sie so wort- und tatenlos hinzunehmen. Geht Euch das auch So? Ich finde, die europäische Flüchtlingspolitik ist eine Schande. Ihre Abschreckungsstrategie verursacht immer neue Auswüchse der Unmenschlichkeit. Nach den unhaltbaren Zuständen in Moria und anderen Lagern, wurden die Schrecken im Grenzgebiet zu Kroatien publik. Ohne jegliche staatliche Unterstützung hausen Flüchtlinge in Wäldern und leerstehenden Gebäuden, immer in der Angst vor kroatischen Grenzsoldaten, die die Flüchtlinge misshandeln und illegale „Pushbacks“ durchführen, also Rückführungen aus dem Gebiet der EU zurück nach Bosnien-Herzegowina. Dabei hätten auch sie ein Recht dazu, Asyl zu beantragen, genau wie all die anderen, die man Jahre lang darben lässt und ihnen das letzte nimmt, was sie noch hatten: Hoffnung. Es geht nicht darum, jeden Flüchtling bei uns oder in der EU aufzunehmen, es geht darum, Menschen mit Respekt zu behandeln und ihnen in ihrer Notlage zu helfen, bis ihr Recht auf Asyl so gut und schnell wie möglich geklärt ist- ohne Hinhaltetaktik und Wegsehen.

Vielleicht würde mancher/m Entscheider/in ein Perspektivwechsel auf die Sprünge helfen. Maja Lunde beschreibt in ihrem Roman „Die Geschichte des Wassers“, wie die Einwohner Südeuropas nach einer Dürre im Jahre 2041 versuchen, in die Länder Skandinaviens zu fliehen, da Trinkwassermangel herrscht und Brände viele Städte und Landstriche verwüstet haben. Auf einmal sehen „wir“ uns in Flüchtlingslagern wieder, in denen die Vorräte knapp werden, Vermisste gesucht werden und es zu Aufständen kommt. Es mag jedem selbst überlassen sein, für wie real er solch eine Möglichkeit aufgrund des Klimawandels sehen mag (Franken gehört übrigens zu den Gebieten, die schon sehr zeitnah unter immer mehr Dürre leiden werden), dass die Flüchtlingsströme aber nicht aufhören werden, sollte inzwischen jedermann/frau klar sein. Wir alle sind darauf angewiesen, in der Not eine Hand gereicht zu bekommen und nicht nach all den Strapazen und erlittenen Traumata wie Dreck behandelt zu werden.

Die Organisation Seebrücke nimmt am Samstag, den 6.Februar von 10-20 Uhr Sachspenden im Z-Bau in Nürnberg entgegen, um sie nach Bosnien-Herzegowina zu bringen. Gesucht werden warme Winterklamotten für Männer in Größe M, Schuhe, Schlafsäcke, Hygieneartikel, Handys samt Ladegeräten (die eigenen werden von den Grenzbeamten oft zerstört) und Powerbanks, Schlafsäcke, Zelte und Taschenlampen. Vielleicht mögt ihr ja mithelfen.

Wenn auch ihr ein Problem mit der europäischen Flüchtlingspolitik habt, könnt ihr euch an einer Unterschriftenaktion von Proasyl beteiligen gegen weitere unmenschliche Haft- und Flüchtlingslager an den Außengrenzen der EU. #NichtMeineLager ist der Hashtag in den sozialen Medien.

Und noch ein Jugendbuchtipp zu dem Thema europäische Flüchtlingspolitik:

„Endland“ von Martin Schäuble, ein spannendes Buch ab ca.14 Jahren über die Freundschaft zweier junger Grenzsoldaten zwischen nationalistischen Strömungen und europäischer Abschottungspolitik. Ein sehr aktuelles Buch, das Überzeugungen in Frage stellt.

Die Besprechung überlasse ich an dieser Stelle dem Deustchlandfunk:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/martin-schaeuble-endland-deutschland-macht-dicht.1270.de.html?dram:article_id=392721

Martin Schäuble: „Endland“ ISBN 978-3-446-25702-3

Maja Lunde: „ Die Geschichte des Wassers“ ISBN 978-3-442-71831-3

Buchtipp: „Train Kids“

von Dirk Reinhardt

In den Nachrichten können wir gerade Bilder von einem gewaltigen Flüchtlingsstrom aus Honduras sehen, von Menschen, die in die USA wollen, getrieben von Armut, befeuert von der Hoffnung, Joe Biden würde mehr Verständnis für ihr Schicksal haben als sein Vorgänger.

Wie passend das Buch, das wir in den Weihnachtsferien gelesen haben und  in dem es genau um dieses Thema geht. Der etwa elfjährige Angel, Hauptperson Miguel (14), Jaz, die eigentlich ein Mädchen ist, Emilio und Fernando (16), die aus verschiedenen Ländern Südamerikas (unter anderem Honduras) stammen, lernen sich zufällig an der Südgrenze zu Mexico kennen und beschließen, die 2500 Kilometer lange, gefährliche Reise durch das Land gemeinsam durchzustehen. Fernando, der Älteste, hat es schon einige Male versucht und wertvolle Erfahrungen sammeln können, wo man auf der Strecke Verbündete bezahlen muss, an welchen Stellen man von den Güterzügen abspringen muss, um Polizeikontrollen zu entgehen und wo es hilft, sich von der Kälte mit dem Schnüffeln von Klebstoff abzulenken. Ständig prahlt er mit unglaublichen, oft brutalen Geschichten, bei denen die Jüngeren nie so genau wissen, ob sie wirklich stimmen können.

Bald stellt sich heraus, dass sie ohne Fernando verloren wären, denn es dauert nicht lange, bis die ersten Gefahren auf sie lauern – korrupte Polizeibeamte, Banditen, Drogen- und Menschenhändler und nicht zuletzt unzählige Unfälle beim Auf- und Abspringen auf die Züge oder durch herabhängende Äste, Hitze und Kälte und vieles mehr. Und dennoch nehmen sie die gefährliche Reise auf sich. Sie fliehen vor der Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat, vor der Armut oder weil sie ihren Müttern nachreisen, die sie schon vor vielen Jahren nachholen wollten und es nie geschafft haben, als Illegale in den USA genug Geld zu verdienen. Im Lauf der Reise erfahren wir immer mehr von den Jugendlichen, sie kommen sich näher und knüpfen ein enges Band durch alles, was sie zusammen erleben. Dass die Wirklichkeit kein bisschen besser ist als die fantastischen Geschichten Fernandos, ist eine bittere Erkenntnis auf ihrem Weg.

Ihr wisst wahrscheinlich inzwischen, dass ich nicht gerne zu viel verrate von den Büchern, die ich vorstelle, ich möchte nur Lust zum Lesen machen. „Train Kids“ ist ein sehr spannendes, aber eben auch realistisches Buch, weshalb es an einigen Stellen auch wirklich grausam ist. Deshalb würde ich die Lektüre ab 13 Jahren empfehlen, auch wenn ich sie durchaus für zumutbar halte. Wir lesen schließlich nur darüber und sind nicht teil dieser gefährlichen Reise. Ich habe aber beim Vorlesen zugegebenermaßen ein paar Stellen ausgespart… “Train Kids“ ist eine tolle Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, über Hoffnung und Träume und darüber, wie traumatische Erfahrungen Menschen verändern. Und sie sensibilisiert für Menschen, die unter so viel schwierigeren Bedingungen aufwachsen müssen als wir.

Dirk Reinhardt schreibt im Nachwort von seinen Recherchen und den Menschen, die er kennengelernt hat. 300000 Menschen passieren pro Jahr die Südgrenze Mexicos, um in die USA zu gelangen, die wenigsten schaffen es und versuchen es doch immer wieder.

„Train Kids“ von Dirk Reinhardt, Carlsen, ISBN 978-3-551-31614-1

Buchtipp: Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers

Was wissen wir von Indianern? Den meisten fallen vermutlich als erstes Karl Mays Geschichten vom tapferen Winnetou und seinen Apachen ein, oder das Gemetzel von Wounded Knee. Vielleicht auch die Weisheit der Cree-Indianern:

 

Erst, wenn der letzte Baum gerodet,

der letzte Fluss vergiftet,

der letzte Fisch gefangen ist,

werdet ihr feststellen,

dass man Geld nicht essen kann.“

 

Leider aktuell wie nie. Aber wie Indianer heute leben, damit kommen wir kaum in Berührung. Diese Lücke schließt der Autor Sherman Alexie, der selbst als Spokane Indianer in einem Reservat aufwuchs, mit diesem autobiographischen Roman, den er bereits 2009 veröffentlichte und über den wir als Hörbuch bei der Onleihe, der digitalen Ausleihe unserer Bücherei gestolpert sind.

Die Lebensrealität seiner Hauptfigur Arnold Spirit Junior und dessen Stamm ist düster. Ein Großteil der Erwachsenen ist alkoholabhängig und hat keine Arbeit, die Menschen sind arm und haben eine schlechte Bildung. Dementsprechend groß sind Gewaltbereitschaft und Sterblichkeit und der 14-jährige Junior, wie ihn die Spokane nennen, war in seinem jungen Leben bereits auf zweiundvierzig Beerdigungen. Von seinem Lehrer ermutigt, entschließt sich der aufgeweckte Jugendliche, den Teufelskreis zu durchbrechen und auf die High-School in Rearden, die außerhalb des Reservats liegt und in die sonst nur Weiße gehen, zu wechseln. Nicht nur in der neuen Schule ist er ein Außenseiter, für seinen besten Freund Rowdy und viele andere Indianer wird er durch das Verlassen der Reservats zum Verräter. Schon der Schulweg wird zum Abenteuer, denn wenn sein Vater ihn nicht bringen kann, weil das Geld mal wieder nicht für Benzin reicht oder ihn jemand anders mitnehmen kann, muss er die etwa dreißig Kilometer laufen. In der Schule versucht er zu verheimlichen, aus welchen Verhältnissen er stammt, er kämpft gegen Vorurteile und rassistische Äußerungen und lebt in einem Spagat zwischen den Welten. Als er wie durch ein Wunder ins Basketballteam der Schule aufgenommen wird, sich den Respekt eines der coolsten Jungen der High-School erwirbt und die Zuneigung eines der hübschesten Mädchen der Schule, wendet sich langsam das Blatt und Arnold, wie ihn die Weißen nennen, stellt irgendwann fest, dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt ist und auch nicht in Indianer und Weiße, sondern, dass es überhaupt nur zwei Stämme gibt: Arschlöcher und Nicht-Arschlöcher. Der Ich-Erzähler erzählt sein bewegtes Leben mit tiefschwarzem Humor und so muss man bei aller Traurigkeit immer wieder laut auflachen, wenn er entwaffnend ehrlich von seinen persönlichen Unzulänglichkeiten berichtet oder von der Schwärmerei für seine Mitschülerin, die er selbst dann total sexy findet, als er sie beim Kotzen auf der Schultoilette findet. „Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers“ ist ein Roman, der noch lange nachhallt, nachdem der letzte Satz verklungen ist.

 

Empfohlen ab 12 Jahren

Dtv Taschenbücher   ISBN-13: 9783423247429

 

Toll auch als Hörbuch, gelesen von Konstantin Graudus !

 

Buchtipps für Groß und Klein

Während die Kreativität mancher Menschen zu Corona Zeiten ins Unermessliche zu sprießen scheint, lähmt mich die erzwungene Dauerfamiliengemeinschaft eher. Mir fehlen die Stunden, die ich sonst allein zuhause verbringe, damit mein Geist auf Wanderschaft gehen kann. Wenn ich schon sonst zu keinen weiteren Ergüssen in der Lage bin, möchte ich zumindest zwei Buchempfehlungen zum Besten geben.

Buchtipp für Kinder ab 6 Jahren:

„An der Arche um Acht“ von Ulrich Hub (Text) und Jörg Mühle (Illustration)

Auf der Arche nach acht

Dieses Buch haben wir vermutlich als einziges Buch über die Jahre hinweg mehrmals vorgelesen, jetzt mit zehn Jahren hat mein Sohn es noch einmal selber gelesen und fand es wieder einfach nur cool. Praktisch auch für Lesefaule, denn es hat eine größere Schrift und ist nicht so dick.

Eigentlich dürfen immer nur zwei Tiere einer Art die Arche betreten. Was macht man aber, wenn man zu dritt ist und keinen zurücklassen möchte? Klar, man schmuggelt einen der drei Pinguine im Koffer an Board und versucht, ihn irgendwie zu verstecken. Gar nicht so einfach. Und was Gott wohl dazu sagt? Mit viel Humor, Witz, Fragen über Gott, die Welt und die Freundschaft, begleiten wir die Pinguine auf ihrer besonderen Reise.

Dtv junior  ISBN 978-3-423-71392-4  Taschenbuch (Erstauflage 2009)

 

Buchtipp für Erwachsene:

„Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens

Der Gesang der Flusskrebse

Wer den Kopf mal so richtig coronafrei kriegen möchte, dem empfehle ich Delia Owens Geschichte über das so genannte Marschmädchen Kya, das in den 50er Jahren in den Sümpfen North Carolinas sich selbst überlassen aufwächst. Ich habe einige Seiten gebraucht, um so richtig abzutauchen, die USA in den 50er Jahren war so weit weg, dass ich die Strecke erstmal mental zurücklegen musste. Aber dann…Die plastischen Naturbeschreibungen beschwören Kyas Welt herauf, man gleitet mit ihr im Boot durch zugewachsene Wasserarme, lernt Vögel und Gezeiten dieser besonderen Landschaft kennen und bangt immer ein wenig mit, ob das alles auch gut gehen wird. Wir lernen Kya als Sechsjährige kennen und begleiten sie bis zu ihrem  Tod, kein Wunder also, dass „Der Gesang der Flusskrebse“ auch eine Liebesgeschichte ist. Man fühlt sich an Mark Twains Huckleberry Finn erinnert, was nicht nur an den Landschaftsbeschreibungen liegt, sondern auch an der Rassendiskriminierung und den Lebensumständen der Armen und Reichen. Und obwohl der Roman kein Krimi ist, geht es auch um die Aufklärung eines Verbrechens.

hanser Verlag ISBN 978-3-446-26419-9

Buchtipp: vom Mut anders zu sein

Ben Brooks

Dieses Buch war eine Empfehlung meiner Buchhändlerin anlässlich einer Kommunion und ich finde es wirklich toll. Mein Zehnjähriger saugt begeistert die nur eine Seite langen Kurzbiographien von über hundert Menschen auf, die besonderes geleistet haben, wie die von Mahatma Gandhi oder Lionel Messi bis hin zu eher unbekannten Helden, die ihren ganz eigenen Weg gegangen sind, sich für andere oder eine gute Sache eingesetzt haben und dafür teilweise einen hohen Preis gezahlt haben. Das Buch ist mit richtig coolen, aufwendigen Illustrationen bebildert, die neugierig machen. Ein tolles Buch, das Mut macht, anders zu sein. Und ein tolles Buch für Jungs, die nicht so gerne lesen.

Hier beim Loewe Verlag gibt es einen Blick ins Buch: Blick ins Buch

(Es gibt inzwischen auch Bände für Kids und für Mädchen.)

Jugendbuchtipp: „Jenseits der blauen Grenze“ von Dorit Linke

Jenseits der blauen GrenzeWenn Menschen in anderen Ländern für ihre Freiheit demonstrieren und dabei sogar ihr Leben riskieren, ist das für diejenigen, die in eine funktionierende Demokratie hineingeboren wurden, manchmal schwer nachvollziehbar. Was Menschen dazu treibt, einem System der Überwachung und Unterdrückung zu entfliehen, erzählt der Jugendroman „Jenseits der blauen Grenze“.

Die Freunde Hanna, Andreas und Sachsen-Jensi haben alle ihre Probleme, sich dem politischen System der DDR anzupassen. Hanna durch ihren senilen, unangepassten Großvater, der sie in Schwierigkeiten bringt, Sachsen-Jensi durch seine große Klappe und Andreas, weil er seine Kritik am System nicht für sich behalten kann. Er ist es dann auch, der so aneckt, dass er schließlich die Schule verlassen muss, um in einem Jugendwerkhof umerzogen zu werden. Als er entlassen wird, ist er nicht mehr der Alte und hadert mit seinem Leben.

Schließlich fasst er den irrwitzigen Plan, durch die Ostsee in den Westen zu schwimmen. Hanna, die Leistungsschwimmerin ist, entschließt sich, gemeinsam mit Andreas die Flucht zu wagen.

Der Roman springt in seinen Kapiteln zwischen der Flucht auf der Ostsee und der Zeit davor und gibt Einblicke in das Leben der Jugendlichen in der DDR der 80er Jahre. Der Leser versteht nach und nach, warum die Flucht der einzige Ausweg zu sein scheint. Ironie des Schicksals, dass wenige Monate später die Mauer fällt, zum Zeitpunkt der Flucht undenkbar.

„Jenseits der blauen Grenze“ von Dorit Linke hilft, besser zu verstehen, was die Mauer zwischen Ost und West bedeutet hat. Und was für eine Befreiung ihre Öffnung war, etwas, was heute in der Diskussion über das, was nach der Wende schief gegangen ist, manchmal untergeht. Spannend, nah dran und leider nicht mit Happy End. So würde ich das Lesen ab ca.14 Jahren empfehlen.

Mehr über Dorit Linke und ihre interessante Arbeit (sie besucht auch Schulen) unter: Dorit Linke-Lesungen, Workshops, Politische Bildung

Magellan Verlag, ISBN 978-3-7348-5602-0

Ein empfehlenswerter Film zu dem Thema ist übrigens der Film „Der Ballon“ von Bully Herbig, der die wahre Geschichte einer Flucht zweier Familie Ende der 70er Jahre erzählt.

 

Mehr über die Flucht, die Hintergründe, Baupläne u.v.m unter: Ballonflucht

Buchtipp Kinder/Jugendbuch: „Krasshüpfer“ von Simon van der Geest

KrasshüpferDer elfjährige Hidde lebt mit seinem älteren Bruder Jeppe und der Mutter in einem Haus in einer niederländischen Kleinstadt. Der älteste Bruder Ward ist drei Jahre zuvor an einer Erkrankung verstorben. Die alleinstehende Mutter arbeitet lange und ist auch oft nicht richtig anwesend, wenn sie zuhause ist und so sind sich die beiden Jungen meist selbst überlassen. Für Hidde, der von seinem Bruder nur Spinnerling genannt wird, sind das Wichtigste seine Insekten und Spinnentiere, die er draußen aufspürt und sie in zahlreichen Gefäßen in einem geheimen, ans Haus angrenzenden Keller hält, von dem nur die Brüder wissen. Eines Tages erklärt Jeppe, dass von jetzt an er den Keller als Übungsraum für sein Schlagzeug nutzen wolle und Hidde ihn räumen solle. Eine Katastrophe für Hidde und seine Tiere. Von diesem Tag an beginnt ein Krieg zwischen den Brüdern. Denn das verstößt klar gegen die Abmachung. Der Keller war der Preis für das Wahren eines Geheimnisses. Ein Geheimnis, über das Hidde eigentlich wahnsinnig gerne sprechen würde, aber nicht darf. „Krasshüpfer“ ist Hiddes Tagebuch, in dem er mit dem Leser sein Nöte teilt und um die richtigen Entscheidungen ringt. Er zeichnet darin seine Tiere und das Experiment, mit dem er seine Klassenkameradin Lieke beeindrucken möchte, die Rosa so gerne mag. Hidde ist nicht cool, er spricht über seine Gefühle, seine Hilflosigkeit und Angst und genau das macht ihn so sympathisch. Und dass der Leser dabei so nah dran ist, macht das Buch so besonders.

Mein großer Sohn hat seinem kleinen Bruder das Buch mit den Worten übergeben, dass es noch viel schlimmere Brüder als ihn gebe. Das Resümee des Jüngeren nach dem Lesen: du bist schlimmer. Naja.

Ein Buch also definitiv für Jungs und Brüder ab etwa zehn Jahren, die das auch mal überprüfen möchten. Ein tolles Buch für alle anderen über Anderssein, Gewissensnöte, Freundschaft, Einsamkeit und Überforderung.

 

„Krasshüpfer“ von Simon van der Geest

Thienemann Verlag, ISBN: 978-3-522-18425-0

Buchtipp: „Niemandsland“

niemandsland„Niemandsland“ von Caroline Brothers beginnt sperrig. Der dreizehnjährige Aryan und sein achtjähriger Bruder Kabir versuchen gemeinsam mit anderen Flüchtlingen über den Evros nach Griechenland zu gelangen. Hinter ihnen liegt schon eine endlos lange Reise von Afghanistan über den Iran in die Türkei, allein auf sich gestellt, da die Eltern und ein älterer Bruder getötet wurden. Caroline Brothers, die sich als investigative Journalistin und anderem für die New York Times, viele Jahre mit Migration und Flüchtlingsströmen beschäftigt hat, schildert absolut realistisch und detailliert die Flucht zweier Kinder und was sie beschreibt, raubt einem den Atem. Alle Informationen und Bilder, die ich in den letzten Jahren zum Thema Flüchtlinge gesammelt habe, setzen sich wie ein Puzzle zusammen und finden sich auf grausame und menschenunwürdige Weise bestätigt. Ausbeutung und Versklavung auf Obstplantagen, Treffpunkte von Landsmännern in Stadtparks, Lager aus Pappkartons im Winter, durchlaufene Schuhe, die Skrupellosigkeit von Schleppern, Mißhandlung und Polizeigewalt. Und mittendrin zwei Kinder, die sich gegenseitig Kraft geben und am Leben halten und diesen Wahnsinn zusammen durchmachen. Aryan, der nach besten Kräften versucht, für sich und den kleinen Bruder die richtigen Entscheidungen zu treffen und Kabir, der mit seinem unbedarften, fröhlichen Wesen Herzen öffnet. In dessen Gesicht die Männer auf der Flucht ihre Kinder oder Brüder wiederfinden, die sie zurücklassen mussten. Die Geschichte vom „Niemandsland“ ruft ein fast schmerzendes Bewusstsein für das Unrecht hervor, das Menschen auf der Flucht widerfährt, dass sich nicht mehr so einfach wegschalten lässt. Es sind eben nicht mehr nur „die Flüchtlinge“, es sind jetzt Aryan, Kabir, Hamid, Jonah oder Khaled, die diese unerträglichen Zustände aushalten müssen. Eigentlich hatte ich das Buch als Jugendbuch gekauft, wir haben es dann aber zusammen gelesen und das war auch gut so. Caroline Brothers hat eine Geschichte aus vielen Fluchtgeschichten unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aufgezeichnet. Wer sie liest, wird nicht mehr mit Parolen gegen Flüchtlinge hetzen können, sondern ihnen mit Verständnis begegnen. „Niemandsland“ ist auch ein Buch für Erwachsene gegen die Gleichgültigkeit auf dieser Welt.

„Niemandsland“ von Caroline Brothers

Bloomsbury Verlag  ISBN 978-3-8270-1057-5

Buchtipps für junge Wissenschaftler

Lucy und Stephen Hawking

Wie bereits erwähnt, ist es bei meinem Großen nicht immer ganz leicht, die Lektüre zu finden, die vor seinen Augen Gnade findet. Zum Glück bin ich irgendwann auf die Kinderbücher „Die unglaubliche Reise ins Universum“ und „Der geheime Schlüssel zum Universum“ gestoßen, die Stephen Hawking zusammen mit seiner Tochter Lucy geschrieben hat. Genial verbinden sie Abenteuergeschichten mit Sachwissen auf dem aktuellen Stand der Planetenforschung. So finden sich in den Kapiteln immer wieder Fotografien und Bilder aus dem Weltall, sowie Fakten und Wissenswertes rund um die Raumfahrt. Wären die Geschichten nicht gut geschrieben, würde das allein mein Kind sicher nicht begeistern können. Aber hier stimmt das Gesamtpaket. Für alle, die auf unterhaltsame Weise mehr über unser Universum erfahren möchten.

Altersempfehlung: Ab 10 Jahre

Der geheime Schlüssel zum Universum (Band 1)

ISBN: 978-3-570-21953-9  cbt Verlag

Die unglaubliche Reise ins Universum (Band 2)

ISBN: 978-3-570-22254-6  cbt Verlag

Die Vorstadtkrokodile

VorstadtkrokodileObwohl die „Vorstadtkrokodile“ bereits Ende der 70er geschrieben wurden und das Buch schon in meiner Kindheit erfolgreich war, habe ich es jetzt erst kennengelernt, als ich es meinen Jungs vorgelesen habe. Und nach den ersten Seiten dachte ich ehrlich gesagt nicht, dass es ihnen gefallen würde. So wie uns viele der Vorabendserien unserer Kindheit inzwischen fast wie in slow motion erscheinen, beginnt auch dieser Roman äußerst entschleunigt und hat erst mal mit dem Leben der meisten Kinder heute wenig gemein. Die Krokodiler, wie sich die Kinderbande selbst nennt, leben in einer Siedlung im Ruhrpott in eher einfachen Verhältnissen. Die Eltern der Kinder arbeiten Schicht oder sind von Arbeitslosigkeit bedroht und müssen zusehen, dass das Geld bis zum Ende des Monats reicht. Statt also in den Verein oder zum Musikunterricht zu gehen, verbringen die Kinder ihre Nachmittage im nahe gelegenen Wäldchen und in der alten Ziegelfabrik. In der Nachbarschaft wohnt auch Kurt, der im Rollstuhl sitzt. Als es zu einer Einbruchsserie in der Siedlung kommt, macht er eine wichtige Beobachtung. Obwohl sich die Krokodiler anfangs dagegen sträuben, Kurt in ihre Bande aufzunehmen, gehen sie schließlich gemeinsam auf Einbrecherjagd. Max von Gruen hat dieses Buch für seinen körperbehinderten Sohn geschrieben, der ebenso wie die Romanfigur Kurt zwar körperlich benachteiligt ist, dafür aber sehr clever und aufgeweckt. Er wollte mit Vorurteilen aufräumen und zeigen, dass auch ein behindertes Kind dazugehören kann, wenn die Gesellschaft offen ist und bereit, neue Wege zu gehen. So entstand dieser Roman als wichtiges Werk zum Thema Inklusion, lange bevor dieser Begriff in aller Munde war. Ich musste das Buch dann tatsächlich in einem Rutsch auf einer langen Fahrt vorlesen und sowohl mein 3.- als auch  mein 8.- Klässler waren total begeistert. Und ich bin froh, dass ich diesen Klassiker endlich kennengelernt habe.

„Vorstadtkrokodile“ von Max von Gruen

cbj-Verlag, ISBN 978-3-570-21665-1

mehr unter: Die Vorstadtkrokodile

Buchtipps für lesefaule Jungs

Bei meinem großen Sohn ist das Lesen kein Selbstläufer. Entweder lande ich einen Volltreffer und das Buch wird binnen 24 Stunden verschlungen oder aber mein Kind fängt – im blödsten Fall- erst gar nicht damit an, weil ihn beispielsweise das Cover nicht anspricht. Ich kenne das durchaus auch von mir, muss ich gestehen. Zu den Verschlungenen des vergangenen Jahres zählen die Bücher der Bodyguard- Reihe von Chris Bradford – nein, das hat überhaupt nichts mit Kevin Costner zu tun. Da geht es um einen 14-jährigen Bodyguard, der mal die Tochter des amerikanischen Präsidenten, mal den Sohn eines millionenschweren Oligarchen oder eine Diplomatenfamilie beschützen soll. Gut recherchiert, an verschiedensten Schauplätzen, teilweise nichts für schwache Nerven, aber eben auch spannend genug, um Jungs zu fesseln.

Body Guard Band 1Theo Boone, Band1

 

Die Geisel, Band 1, von Chris Bradford, Cbj Verlag, ISBN 978-3-570-40275-7 ab 12 Jahren

Eine andere Buchreihe ist von dem Autor und ehemaligem Anwalt John Grisham, den wir von Bestsellern wie „Die Jury“ oder „Die Akte“ kennen. 2010 schrieb er sein erstes Jugendbuch. Theodore Boone, der Held der Geschichten, ist dreizehn und Sohn eines Anwalts. Er ist eher das Gegenteil von cool, träumt selbst davon, Anwalt zu werden und hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Deshalb nimmt er die Sachen gerne selbst in die Hand und ermittelt die spannendsten Fällen. Wer mehr lesen möchte, klickt hier:

Buchbesprechung Abendblatt

Theo Boone und der unsichtbare Zeuge, Band 1, von John Grisham, Heyne Verlag,

ISBN 3-453-26000-7 ab 12 Jahren