Buchtipp: „ Blaupause“ von Theresia Enzensberger

Weimar 1921. Luise Schilling beginnt ihr Studium am neu gegründeten Bauhaus, Walter Gropius himself führt das Aufnahmegespräch. Sie möchte Architektin werden und nicht, wie für sie und die meisten Frauen dieser Zeit vorgesehen, eine gute Hausfrau. Zu ihrer Enttäuschung darf sie nach dem Vorkurs allerdings nicht zu den Tischlern, sondern wird der Weberei zugewiesen.

Einer der Dozenten am Bauhaus ist Johannes Itten. Zumindest den Namen kennen vermutlich alle aus dem Kunstunterricht aufgrund seiner berühmten Farbenlehre. Diese charismatische Persönlichkeit und Vertreter des Mazdaznan, einer religiösen Lehre verschiedenster Elemente, schart in der Studentenschaft zahlreiche Anhänger*innen um sich, die durch das Tragen mönchsartiger Kutten und seltsame Bräuche auffallen. Luise schließt sich ihnen an, teils aus Neugier und Faszination, teilweise aber auch, weil sie noch wenig andere Kontakte gefunden hat. Sie bemüht sich, die Vorschriften der Lehre bestmöglich zu befolgen, sich vegetarisch zu ernähren, Atemtechniken zu erlernen, vor Sonnenaufgang aufzustehen und durch die Natur zu wandern, kann aber im Gegensatz zu ihren neu gewonnenen Freunden nicht umhin, die starren Regeln und das dahinterstehende Menschenbild immer wieder zu hinterfragen. Die Besuche in ihrer Heimatstadt Berlin im Haus ihres Vaters, einem gut situierten Großindustriellen, könnten nicht gegensätzlicher zu ihrer Lebensrealität in Weimar und später Dessau sein.

„Blaupause“ gibt dem Leben, was man über das Bauhaus gehört oder gelesen hat. Und noch mehr. Die Geschichte der Emanzipation in dieser Zeit wird lebendig. Luise lässt sich irgendwann die Haare kurz schneiden, sie trägt Hosen, sie bricht mit ihrer Familie, um ihren Weg weitergehen zu können und sie stößt immer wieder an ihre Grenzen als Frau. Im Hintergrund brodeln die verschiedenen politischen Strömungen, ein Freund, der den Kommunisten angehört, schließt sich 1926 einer Gruppe an, die in Berlin in den Straßenkampf gegen die SA zieht, der Bruder vertraut dagegen auf die Deutschnationalen. Und während sich eine Katastrophe anbahnt, feiern die Menschen das Leben, es wird getanzt und geliebt, die Roaring Twenties eben. Schilderungen meiner Großmutter, die in Berlin aufwuchs, fielen mir wieder ein. „Wir hatten nicht viel, aber bei uns war immer was los. Irgendjemand konnte ein Instrument spielen und schon wurde getanzt.“ So oder so ähnlich. Wer die klassischen Berliner Altbauwohnungen kennt, kann sich das bestimmt gut vorstellen.

Luise wendet sich schließlich von den Itten-Jüngern ab, sie stößt sich an der starren, teils unmenschlichen Ideologie, die die Anhänger über alles andere stellen. Interessanterweise begreift man in der Auseinandersetzung mit dieser Bewegung viel besser, warum sich heute bei den Querdenkerdemonstrationen neben rechten Gruppierungen so viele Anhänger alternativer, eher naturromantischer, esoterischer Bewegungen finden, die auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen. Aber eben nur auf den ersten Blick.

Natürlich gäbe es noch weitaus mehr zu erzählen, aber ihr wisst, ich will nicht allzu viel verraten. Wer geschichtliche Daten und Hintergründe mit Bildern und Geschichten füllen möchte, dem sei dieser kurzweilige Roman wärmstens ans Herz gelegt.

Theresia Enzensberger „Blaupause“, dtv, ISBN 978-3-423-14671-5

Buchtipp: Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers

Was wissen wir von Indianern? Den meisten fallen vermutlich als erstes Karl Mays Geschichten vom tapferen Winnetou und seinen Apachen ein, oder das Gemetzel von Wounded Knee. Vielleicht auch die Weisheit der Cree-Indianern:

 

Erst, wenn der letzte Baum gerodet,

der letzte Fluss vergiftet,

der letzte Fisch gefangen ist,

werdet ihr feststellen,

dass man Geld nicht essen kann.“

 

Leider aktuell wie nie. Aber wie Indianer heute leben, damit kommen wir kaum in Berührung. Diese Lücke schließt der Autor Sherman Alexie, der selbst als Spokane Indianer in einem Reservat aufwuchs, mit diesem autobiographischen Roman, den er bereits 2009 veröffentlichte und über den wir als Hörbuch bei der Onleihe, der digitalen Ausleihe unserer Bücherei gestolpert sind.

Die Lebensrealität seiner Hauptfigur Arnold Spirit Junior und dessen Stamm ist düster. Ein Großteil der Erwachsenen ist alkoholabhängig und hat keine Arbeit, die Menschen sind arm und haben eine schlechte Bildung. Dementsprechend groß sind Gewaltbereitschaft und Sterblichkeit und der 14-jährige Junior, wie ihn die Spokane nennen, war in seinem jungen Leben bereits auf zweiundvierzig Beerdigungen. Von seinem Lehrer ermutigt, entschließt sich der aufgeweckte Jugendliche, den Teufelskreis zu durchbrechen und auf die High-School in Rearden, die außerhalb des Reservats liegt und in die sonst nur Weiße gehen, zu wechseln. Nicht nur in der neuen Schule ist er ein Außenseiter, für seinen besten Freund Rowdy und viele andere Indianer wird er durch das Verlassen der Reservats zum Verräter. Schon der Schulweg wird zum Abenteuer, denn wenn sein Vater ihn nicht bringen kann, weil das Geld mal wieder nicht für Benzin reicht oder ihn jemand anders mitnehmen kann, muss er die etwa dreißig Kilometer laufen. In der Schule versucht er zu verheimlichen, aus welchen Verhältnissen er stammt, er kämpft gegen Vorurteile und rassistische Äußerungen und lebt in einem Spagat zwischen den Welten. Als er wie durch ein Wunder ins Basketballteam der Schule aufgenommen wird, sich den Respekt eines der coolsten Jungen der High-School erwirbt und die Zuneigung eines der hübschesten Mädchen der Schule, wendet sich langsam das Blatt und Arnold, wie ihn die Weißen nennen, stellt irgendwann fest, dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt ist und auch nicht in Indianer und Weiße, sondern, dass es überhaupt nur zwei Stämme gibt: Arschlöcher und Nicht-Arschlöcher. Der Ich-Erzähler erzählt sein bewegtes Leben mit tiefschwarzem Humor und so muss man bei aller Traurigkeit immer wieder laut auflachen, wenn er entwaffnend ehrlich von seinen persönlichen Unzulänglichkeiten berichtet oder von der Schwärmerei für seine Mitschülerin, die er selbst dann total sexy findet, als er sie beim Kotzen auf der Schultoilette findet. „Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers“ ist ein Roman, der noch lange nachhallt, nachdem der letzte Satz verklungen ist.

 

Empfohlen ab 12 Jahren

Dtv Taschenbücher   ISBN-13: 9783423247429

 

Toll auch als Hörbuch, gelesen von Konstantin Graudus !

 

Kinderbuchtipp: Die besten Freunde der Welt

Die besten Freunde der Welt„Die besten Freunde der Welt“ von Ute Wegmann ist ein wunderschönes Buch über die Freundschaft zwischen dem supersportlichen Fritz und dem Superbrain Ben, der wegen eines Herzklappenfehlers als Baby von seiner Mutter in Watte gepackt wird und nichts tun darf, was seiner Gesundheit gefährlich werden könnte. Und das ist so ziemlich alles, was Spaß macht. So darf Ben auch nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, obwohl er wahnsinnig gerne das Seepferdchen machen würde. Stattdessen sitzt er am Beckenrand und schreibt Gedichte, wie das Großartige über den Busen, entstanden, nachdem er eine Seniorengruppe bei der Aquagymnastik beobachtet hat. Herrlich! Fritz versucht schließlich, seinem Freund heimlich das Schwimmen beizubringen, gar nicht so leicht bei jemandem, der sogar Angst vor einem Schaumbad hat. Ein großes Abenteuer für die so ungleichen Jungen, die vielleicht gerade deshalb die besten Freunde der Welt sind.

„Die besten Freunde der Welt“ von Ute Wegmann

Verlag: dtv Reihe Hanser  ISBN: 978-3-423-62585-2

Altersempfehlung: ab 6 Jahre

Buchtipp: Der weiße Tiger

 

Der weiße Tiger_Aravind Adiga

Ich war noch nie in Indien. Noch nicht einmal irgendwo anders in Asien. Und doch habe ich so manches verstanden, als ich den Debütroman „Der weisse Tiger“ von Aravind Adiga gelesen habe. So manches Verhalten nämlich, über das deutsche Geschäftsleute immer wieder ihren Unmut äußern. Weil das Leben in Indien eben völlig anders zu funktionieren scheint, als das unsrige. Weil es kaum möglich ist, dem „Hühnerkäfig“ aus Kasten- und Familienzugehörigkeit, Herr- und Dienerschaft, wie ihn Protagonist Balram Halwai nennt,  zu entkommen. Es sei denn, man ist so gewieft wie er und spielt das Spiel aus Lüge, Erpressung und Korruption mit und geht dabei, wenn nötig, sogar über Leichen. So stellt er sich auch zu Beginn des Romans als Diener, Philosoph, Unternehmer und Mörder vor.

In sieben Nächten beschreibt Balram dem chinesischen Ministerpräsidenten seinen Aufstieg vom Sohn eines Rikschafahrers in dem kleinen Dorf Laxmangarh zum Unternehmer in der aufstrebenden Großstadt Bangalore. Obwohl Balram als klügstem Jungen des Dorfes ein Stipendium in Aussicht gestellt wird, muss er die Schule nach kurzer Zeit beenden, um für seine Familie  den Kredit für die Hochzeit einer Cousine mit seiner Arbeitskraft zurückzahlen zu können. Es gelingt ihm, nach seinem Dienst in einem Teehaus eine Anstellung als Fahrer zu ergattern, die ihn schließlich nach Delhi bringt, wo sich die Handlung zuspitzt. Aravind Adiga, der für seinen Roman 2008 den Booker-Prize bekam, beschreibt das Leben in Indien in all seiner Grausamkeit leichtfüßig, frech und manchmal zynisch. Er beschönigt nichts und erzählt von der anderen Seite der aufstrebenden Wirtschaftsnation, von den Zurückgebliebenen, von denen, deren Leben rein gar nichts wert ist, deren Tod man mit ein paar Scheinen wieder gut macht. Wenn überhaupt. Man kann es Balram Halwai am Ende der Geschichte kaum übel nehmen, dass er zum Mörder geworden ist in diesem System aus Fressen oder Gefressen werden. Mir hat diese rasante Geschichte mal wieder vor Augen geführt, wie wertvoll die Demokratie ist, in der wir leben, wo Reiche und Arme zumindest die gleichen Rechte haben, wenn auch nicht immer die gleichen Chancen. Und für wie selbstverständlich wir das nehmen.

Buchtipp: Rabenfrauen

RabenfrauenWer über die Feiertage etwas jenseits von Süßkram verschlingen möchte, sollte sich schnell noch diesen Roman besorgen. Anja Jonuleit erzählt in „Rabenfrauen“ die Geschichte der Freundinnen Ruth und Christa, beginnend in den 50er Jahren. Als eine freichristliche Gemeinschaft unter dem Prediger Paul Schäfer ein Zeltlager in ihrem Heimatdorf veranstaltet, verliebt sich die 17jährige Christa in eines der Mitglieder. Während Ruth die Vorgänge in der Gemeinschaft bald zu hinterfragen beginnt, verliert sie Christa trotz wiederholter Bemühungen an die Sekte, die später traurige Berühmtheit unter dem Namen Colonia Dignidad erlangen wird. Angefangen mit dem scheinbar harmlosen Besuch des Jugendzeltlager bis hin zur völligen Unterordnung, Missbrauch und Folter in der Kolonie in Chile wird faszinierend beschrieben, wie es zu solch einer Abhängigkeit und Unterwerfung unter so einen charismatischen Menschen überhaupt kommen kann. Die Zeitstränge wechseln zwischen der Geschichte der jungen Frauen und dem fortgeschrittenen Alter, in dem sich Ruth noch immer fragt, ob sie wirklich alles ihr Mögliche getan hat. Wird sie doch auf einmal von einer ganz anderen Seite mit ihrer Vergangenheit konfrontiert….. ein spannendes Buch, das ich kaum zur Seite legen konnte.

Anja Jonuleit  „Rabenfrauen“

ISBN-13: 9783423261043   dtv Taschenbücher