Bevor sich Corona wieder in den Vordergrund drängte, gab es viele Menschen, die für die Black Lives Matter Bewegung auf die Straße gingen. Vermutlich erhoben noch nie so viele People of Colour auch in Deutschland ihre Stimmen, um von Diskriminierung und Alltagsrassismus zu berichten. Auch von dem, der uns „Weißen“ gar nicht bewusst ist. Alice Hasters hat darüber ein unbequemes Buch geschrieben. „Was weiße Menschen über Rassismus nicht hören wollen“ ruft bei Menschen, die nicht der Grupppe der BIPOC ( Black, Indigenous and People/Person of Colour) angehören, leicht die Reaktion hervor, das sei doch alles gar nicht so schlimm. Aber bitte, jetzt mal ganz ehrlich, dass können wir Weißhäute nun wirklich nicht beurteilen.
Dass es für BIPOC ätzend sein muss, wenn sie auf die Fragen, woher sie kommen, nicht einfach antworten können: „Aus Nürnberg!“, sondern jedes Mal die Wurzeln ihrer Familie erklären sollen, ist mir als Bewohnerin einer bunten Großstadt schon lange klar geworden. Viele Menschen haben dafür leider noch gar kein Bewusstsein, was sicherlich auch ein Grund dafür ist, dass es selbst für die Kinder und Kindeskinder von Migrant*innen noch immer so schwer ist, sich als gleichberechtigte Mitglieder dieser Gesellschaft zu fühlen. Wer andauernd auf sein Anders aussehen reduziert wird, wird sich nie zugehörig fühlen können. Und umso notwendiger die Lektüre dieses Buches.
Umfassend bearbeitet Alice Hasters Themen wie Alltag, Schule, Familie und Beziehungen. Sie weist darauf hin, wie unwürdig es ist, wenn einem Fremde ins Haar fassen und fragen, ob man es auch waschen kann. Sie macht darauf aufmerksam, dass auch Stereotype rassistisch sind, denn es haben eben genauso wenig alle Schwarzen „Rhythmus im Blut“ wie Weiße, weder können alle Schwarzen gut singen, noch sind sie Weltklassesprinter. Sie sind wie alle Menschen Individuen. Sie berichtet von dem Stereotype threat, der Angst davor, aufgrund eines negativen Stereotyps beurteilt zu werden und diese Vorurteile womöglich zu bestätigen, der dazu führt, das eigene Verhalten ständig zu hinterfragen.
Interessant fand ich auch Hasters Auseinandersetzung mit den Lehrplänen, bei denen der Kolonialismus, wie ich ja auch schon festgestellt habe (Buchtipp: Alle, außer mir), nur kurz gestreift wird, obwohl er für das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen so weitreichende Folgen hatte. Sie klärt darüber auf, dass bereits Kant ein Rassist war, nur dass dieser Teil seiner Schriften eher unbekannt ist. Sie erzählt von ihrem Austausch in den USA, wo sie als hellhäutige Schwarze privilegierter zu sein schien, als ihre dunkelhäutigeren Mitschüler*innen. Hasters nimmt zu verschiedensten Situationen gründlich und schonungslos Stellung. Und ja, vieles will man tatsächlich nicht hören. Aber es tut Not, um sich nicht aus Unwissenheit rassistisch zu verhalten, denn vieles davon ist uns Weißen nicht bewusst.
hanserblau ISBN 978-3-446-26426-0