Nachtrag zu: Sind (Hobby)gärtner*innen die glücklicheren Menschen?

Durch einen Zufall stieß ich vor einiger Zeit auf das Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“ von Florian Illies. Dort hat der Autor alles zusammengetragen, was an Amouren in Kreisen berühmter Maler*innen, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen und sonstiger Größen in der Zeit zwischen 1929 und 1939 herauszufinden war. Tucholsky, Weill, Brecht, Dietrich, Dali, Picasso, de Lempicka, die Manns, um nur einige nennen. Beim Lesen dieser ungezählten und ständig wechselnden Liebesreigen wird einem schnell schwindlig, es wurde fast so oft geheiratet, wie man in den Urlaub fuhr, mindestens ein(e) Geliebte(r) gehörte zum guten Ton, ob Männlein oder Weiblein spielte eigentlich keine Rolle, man tauschte sich nicht nur intellektuell aus. Kein Wunder, schwebte doch kurz nach dem ersten Weltkrieg bereits der Schrecken des nächsten Unheils über den Künstler*innen und so musste das Leben so intensiv gelebt werden, wie es nur möglich war, wenngleich oft im Drogenrausch, weil der Schmerz und die Traumata sonst kaum auszuhalten waren. Dieser Abriss nur deshalb, weil ich in diesem Buch auch folgende Schilderung aus dem Leben Hermann Hesses fand:

Und was macht Hermann Hesse in diesen stürmischen, heißen Monaten des Sommers 1932? Er zieht seine Leinenhose an, sein leichtes Hemd, sieht aus wie einer der schwerelosen Bewohner des Monte Verità einen See weiter, und er jätet Unkraut, stundenlang. Ja, so schreibt er im Juli 1932, „dieses Unkrautjäten füllt meine Tage aus, dabei ist es vollkommen rein von materiellen Antrieben und Spekulationen, denn die ganze Gartenarbeit bringt im Ganzen kaum drei, vier Körbchen Gemüse. Dafür hat die Arbeit etwas Religiöses, man kniet am Boden und vollzieht das Rupfen, wie man einen Kult zelebriert, nur des Kultes wegen, der sich ewig erneuert, denn wenn drei, vier Beete sauber sind, ist das erste schon wieder grün.“

Aus „Liebe in Zeiten des Hasses“ von Florian Illies, S.165)

Tja, die Suche nach dem inneren Frieden, ist nichts Neues. Welch Glück für die, die ihren Weg gefunden haben und liege er zwischen Schnecken, Unkraut und Tausendfüßlern!

Buchtipp: „Liebe in Zeiten des Hasses“- Chronik eines Gefühls 1929-1939 von Florian Illies

S.Fischer Verlag, ISBN 978-3-10-397073-9

Buchtipp!

Eine Freundin fragte mich vor Kurzem, ob ich nicht mal wieder ein Buch vorstellen könne. Es ist nicht so, dass ich in den letzten Wochen keine Bücher gelesen hätte, aber damit ich sie vorstelle, müssen sie schon einige Kriterien erfüllen. Sie sollten nicht zu speziell sein, d.h. mich nicht nur aus ganz persönlichen Beweggründen wie beispielsweise meiner eigenen Familiengeschichte interessieren. Und ich muss auch keine Bücher vorstellen, die sowieso schon in aller Munde sind, weil sie entsprechend Publicity haben, wie beispielsweise „Unter Menschen“ von Juli Zeh. Auch wenn es das erste Buch war, das ich von ihr gelesen habe, das ich mochte. Frau flieht vor ihrem Leben und dem corona- und klimaüberkorrekten Lebensgefährten aus Berlin nach Brandenburg, wo sie einen überzeugten Nazi zum Nachbarn bekommt. Bald beschäftigt sie die Frage, ob ein Nazi wirklich immer automatisch ein Arschloch ist oder ob es neben dem Schwarz und Weiß auch noch Grautöne gibt. Weil Menschen nicht immer in ihre Schubladen passen. Sehr unterhaltsam, aber ich wollte das Buch ja gar nicht empfehlen;-)

Das wichtigste Kriterium für eine Buchvorstellung- es muss mich irgendwie begeistern und nicht nur ganz nett sein. Und das trifft auf die Bücher „Piccola Sicilia“ und „Jaffa Road” von Daniel Speck zu. Ich habe mich allerdings dagegen gewehrt, sie zu mögen. Denn eigentlich ist von allem zu viel, die Verflechtungen, die Erzählstränge, die Charaktere sind zu groß, die Liebe zu tief, die Augen zu dunkel. Aber dieser Mann kann einfach schreiben, man bemerkt sofort seine Tätigkeit als Drehbuchautor, so filmisch sind manche Szenen. Man sieht die Straßen, Menschen und Landschaften vor sich. Jedes Kapitel endet mit einer Art Cliffhanger, so dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Das Fesselndste aber ist der geschichtliche Hintergrund seiner Romane. Unter französischer Besatzung waren viele Sizilianer nach Tunesien eingewandert, um ein neues Leben zu beginnen. So entstand das Viertel „Piccola Sicilia“ in Tunis, in dem zu Beginn der 1940er Jahre Juden, Muslime und Christen in guter Nachbarschaft miteinander lebten. 1942 gelangt auch der junge Fotograf Moritz Reincke dorthin, um heroische Bilder von Rommels Afrikafeldzug für die Wochenschau zu liefern. Dass an diesem Feldzug überhaupt nichts heroisch ist und die Truppen längst auf dem Rückzug sind, blendet er ebenso aus wie seinen Anteil an den Taten der Nationalsozialisten. Das ändert sich, als er eine unvorhergesehene Entscheidung trifft und bald darauf die Alliierten einmarschieren. Moritz taucht unter und nimmt eine neue Identität an.

„Jaffa Road“ ist die Fortsetzung des Lebens des Moritz Reincke und deshalb kann ich kaum etwas darüber erzählen, ohne zu verraten, wie der erste Teil geendet hat. Nur so viel: wer sich für die Staatsgründung Israels, die Vertreibung der Palästinenser und das schwierige Verhältnis von Juden und Arabern vor seinem historischen Kontext interessiert, den wird auch dieser Band fesseln. Wie anfangs angedeutet, geht es natürlich neben dem Verlust von Heimat, Vertreibung und Identität, hinreichend um Liebe, Familie und Freundschaft. Die Geschichte ist mir vor allem in der Gegenwartsebene etwas zu konstruiert, aber all die Bruchstücke und Mikropartikel der Erzählung, die Verletzungen und das Leid der Vertriebenen, von Juden wie Palästinensern, sind mit Sicherheit so oder so ähnlich tausendfach geschehen und geschehen noch immer. Ich bin jetzt bei Seite 499 und weiß noch nicht, wie sie ausgeht, die Geschichte vom Leben des Moritz Reincke. Aber ich freue mich schon auf meine Tasse Tee am Ofen, wo ich wieder tief in die Jaffa Road abtauchen werde und weiß jetzt schon, dass ich es sehr bedauern werde, wenn ich auf der letzten Seite angekommen bin.

„Piccola Sicilia“ von Daniel Speck, Fischer Verlag, ISBN 978-3-596-70162-9

„Jaffa Road” von Daniel Speck, Fischer Verlag, ISBN 978-3-596-70384-5

Kinderserien-Tipp: Der Krieg und ich

Vielleicht haben manche von euch diese Filme schon längst gesehen, schließlich liefen sie schon im Sommer an. Ich bin jetzt erst darüber gestoßen und finde, die Serie ist großartig gemacht und sollte von am Thema Krieg interessierten Kindern und ihren Eltern auf jedem Fall im Netz nachgeschaut werden. Die acht Episoden beginnen 1938 mit der Faszination für die Hitlerjugend in Deutschland und erzählen vom Schicksals einzelner Kinder bis zum Ende des Krieges 1945 und der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Das ist, wie man sich denken kann, sehr ergreifend und deshalb sollte man die Serie auch gemeinsam mit den Kindern ansehen. Die Filme verknüpfen Schauspiel, erzählte Hintergrundinfos, Kartenmaterial und mit Miniaturfiguren nachgestellte Szenen kindgerecht und informativ. Die Einzelschicksale der Kinder von damals lassen so ein großes Thema weniger abstrakt erscheinen und bringen es den Kindern heute nahe. Eine großartige Produktion, die bereits ausgezeichnet wurde, empfohlen ab frühestens 8 Jahren.

Der Krieg und ich_Folge 1

Alle Infos auf SWR Kindernetz