2022, die zweite: Sinnsuche

Anstatt mich in den vergangenen Wochen hingebungsvoll dem Plätzchenbacken zu widmen, habe ich wiederholt Apfelmus eingekocht, diverse Apfelkuchen und Apfelstrudel gebacken, sowie Apfelringe getrocknet. Meine Ausbeute war äußerst bescheiden. Etwa 25 Äpfel ergeben vier Gläser Apfelmus. Das liegt daran, dass die Äpfel unserer Solawi zwar äußerst schmackhaft sind, aber auch eher klein, schief und krumm. Individuell eben. Unser Winterobsternteanteil (was für ein Wort) besteht vorwiegend aus Äpfeln, die lassen sich gut lagern und sonst wächst ja gerade nichts draußen und so verspüre ich permanent einen leichten Druck, Äpfel verarbeiten zu müssen, denn das ewige Lagern überleben sonst nicht alle.

Als ich vergangene Woche mal wieder leise jammerte, was ich mit all den Äpfeln machen solle, fragte mich mein jüngerer Sohn, warum ich nicht einfach Äpfel im Supermarkt kaufe, und zwar nur so viele, wie ich wirklich brauche. Ha, ein guter Einwand. Ich dachte lange über seine Worte nach, bevor ich ihm antwortete. Dabei ist die Antwort ganz einfach. Ich möchte es genau so, wie es ist, auch wenn es nicht der leichteste Weg ist. Die Äpfel geben meinem Leben Sinn. Also sie verarbeiten zu müssen, wenn ich nicht möchte, dass sie verderben. Eine Aufgabe zu haben, so wie jemand anderes mit seinem Hund raus muss, damit er sich erleichtern kann oder aufstehen muss, um einer wichtigen Arbeit nachzugehen. Klingt irre, oder? Solange meine Kinder noch fiebernd auf meine Rückkehr von der Arbeit warteten und diese mich ordentlich in Beschlag nahm, stellte ich mir die Sinnfrage eigentlich nie. Wann auch. Inzwischen drängt sie sich mir immer mal wieder auf. Ich mag schon wissen, warum ich jeden Tag aufstehe, einkaufe, aufräume, Essen mache und vieles andere, um am nächsten Morgen wieder von vorne anzufangen.

Da gibt es selbstverständlich überzeugende Argumente wie die Liebe, Familie, Freundschaft, soziale Kontakte, füreinander da sein. Manche Menschen haben ihren Glauben an Gott oder Allah, der ihrem Leben Sinn gibt. Es gibt aber auch jenseits davon das richtig Große, das Kosmische, das Bewusstsein, ein winziger Teil vom Ganzen zu sein, einen Platz zu haben und eine ganz bestimmte Aufgabe. Ich fühle mich mit der Natur verbunden, sie gibt den Lebensrhythmus vor – essen was gerade wächst und verarbeiten, was in Hülle und Fülle da ist, um es in Zeiten zu essen, in denen Mangel an Frischem herrscht. Wissen, was den Frost braucht und was die Sonne. Und dass nach dem Winter der Frühling kommt. Diesen Rhythmus wertzuschätzen und in seinem Takt zu leben, fühlt sich für mich wirklich groß an.

Meinem Vater, der in Zeiten des Mangels aufgewachsen ist, kommt diese freiwillige Beschränkung auf regionale und saisonale Lebensmittel bestimmt wunderlich vor. Wie glücklich war die Kriegs- und Nachkriegsgeneration doch, als sie endlich keine Zuckerrüben mehr essen musste, sondern in Hülle und Fülle importieren konnte, was das Herz begehrte, sommers wie winters. Endlich kulinarische Vielfalt. Und jetzt muss er wieder Kohl bei mir essen, der Ärmste. Naja, so ganz streng geht es bei uns auch nicht zu. Es ist eher mein Bedürfnis, als das meiner Familie. Aber man muss ja immer ein paar Kompromisse schließen im Leben.

Vielleicht brauche ich diese Art von Bodenhaftung, um nicht den Halt zu verlieren in einer Welt voller Umbrüche, in der so große Dinge passieren, dass ich es manchmal seltsam finde, über kleine zu schreiben. In der ich gar nicht hinterherkomme, über alle wirklich wichtigen Dinge zu schreiben und ich mir manchmal garnicht schnell genug eine eigene Meinung bilden kann. Da ist es manchmal viel einfacher, ein paar Äpfel aus der Kammer zu holen und anzufangen, zu schälen. Im Gegensatz zum Nachdenken über diese komplexe Welt kommt dabei wenigstens immer etwas Sinnvolles heraus.

1 Jahr Solawi – ein Resümee

Ich habe mich, glaube ich, noch nie so sehr über frisches Grün gefreut, wie an diesem Mittwoch, als nach einer langen Herbst-Winter-Saison voller Kohlsorten, unsere Lieferung der solidarischen Landwirtschaft einen Salatkopf, Postelein und Asia-Salat enthielt. Himmlisch. Ihr wisst nicht, was Asia-Salat ist? Und Postelein? Über den Asia-Salat(siehe Bild) habe ich selbst erstmal gerätselt, Postelein oder auch Portulak genannt, kenne ich seit einigen Wochen und weiß, dass er mit einer deftigen Jogurt-Knoblauch-Sauce angerichtet fantastisch schmeckt.

Die Freude darüber war deshalb so groß, weil ich in diesem Winter so viel Kohl gegessen habe, wie noch nie in meinem Leben zuvor. Grünkohl, Schwarzkohl, Rosenkohl, Wirsing, Kohlrüben, Rotkohl und Weißkraut. Was es halt so bei uns gibt im Winter, frisch oder eingelagert wie Möhren, Kartoffeln oder Zwiebeln. Dass ich in einigen Nächten sogar wegen Bauchschmerzen aufgewacht bin, lag aber vor allem auch daran, dass je nach Sorte zwei bis drei meiner Mitesser wegfielen und da ich natürlich nichts von dem wertvollen Gut wegwerfen wollte, alles allein gegessen habe. An diese Mengen war mein Organismus definitiv nicht gewöhnt. Und dennoch bin ich nach wie vor begeistert davon, erstmals in meinem Leben wirklich mitzubekommen, was gerade bei uns auf den Feldern wächst – und was eben nicht. Und das ist eine ganze Menge. Diesen Winter gab es kein einziges Mal Sommergemüse wie Zucchini oder Aubergine bei uns und auch beim Zukauf von Salat beließen wir bei wenigen Ausnahmen. Bei Tomaten bekommen wir das leider nicht hin, sie sind ein wichtiges Nahrungsmittel in unserem Haushalt. Dafür lernten wir im Herbst Bittersalate kennen und schätzen. Sie vertragen leichten Frost und wachsen deshalb bis in den Winter hinein bei uns. Dass sie irre gesund sind, brauche ich nicht zu erwähnen, so wie viele Lebensmittel, die genau deshalb zu einer bestimmten Zeit bei uns wachsen, um uns mit den wichtigsten Nährstoffen zu versorgen. Und ich kenne jetzt mindestens sechs verschiedene Arten, Grünkohl zu verarbeiten, nämlich als Curry (geht immer und übertönt auch ungeliebte Geschmäcker), Lasagne, Moussaka, Smoothie, Salat und Chips.

Wenn man ein und dasselbe Lebensmittel immer wieder verarbeiten muss, wird man kreativ und probiert Neues aus. Und ich kann tatsächlich bestätigen, dass man sich an bestimmte Geschmäcker gewöhnt, je öfter man sie isst. Mit der Kohlrübe fremdele ich noch ein wenig (mein Hase mochte sie früher), dafür habe ich Wirsing inzwischen richtig lieb gewonnen. Zusammen mit Möhren und Champignons und satt mit Käse überbacken, ist er alles andere als langweilig. Jetzt esse ich mich die nächsten Monate mit ganz viel Rohkost satt und bin mir sicher, dass ich mich in einem halben Jahr genauso auf meine Kohlköpfe freuen werde, wie jetzt auf den ersten Salat. Es macht Spaß, Teil von etwas Größerem zu sein, den Kreislauf des Jahres mitzuerleben und ganz kleines bisschen mitzugestalten. Und es wäre toll, wenn noch viel mehr Menschen mitmachen würden. Unsere Solawi entwickelt sich immer weiter und ich hoffe, dass wir es eines Tages schaffen werden, dass auch Menschen mit sehr kleinem Geldbeutel dabei sein können, weil die Gemeinschaft einen Teil ihrer Beiträge übernimmt. Noch ist das leider Zukunftsmusik, aber ich hoffe, das wird eines Tages selbstverständlich sein. Es bleibt spannend und ich freue mich aufs nächste Jahr.

Wer mehr wissen möchte, kann sich hier informieren:

http://www.stadt-land-beides.de/ (Nürnberg/Fürth)

Eine Solawi in deiner Nähe:

https://www.solidarische-landwirtschaft.org/solawis-finden/auflistung/solawis