Anstatt mich in den vergangenen Wochen hingebungsvoll dem Plätzchenbacken zu widmen, habe ich wiederholt Apfelmus eingekocht, diverse Apfelkuchen und Apfelstrudel gebacken, sowie Apfelringe getrocknet. Meine Ausbeute war äußerst bescheiden. Etwa 25 Äpfel ergeben vier Gläser Apfelmus. Das liegt daran, dass die Äpfel unserer Solawi zwar äußerst schmackhaft sind, aber auch eher klein, schief und krumm. Individuell eben. Unser Winterobsternteanteil (was für ein Wort) besteht vorwiegend aus Äpfeln, die lassen sich gut lagern und sonst wächst ja gerade nichts draußen und so verspüre ich permanent einen leichten Druck, Äpfel verarbeiten zu müssen, denn das ewige Lagern überleben sonst nicht alle.
Als ich vergangene Woche mal wieder leise jammerte, was ich mit all den Äpfeln machen solle, fragte mich mein jüngerer Sohn, warum ich nicht einfach Äpfel im Supermarkt kaufe, und zwar nur so viele, wie ich wirklich brauche. Ha, ein guter Einwand. Ich dachte lange über seine Worte nach, bevor ich ihm antwortete. Dabei ist die Antwort ganz einfach. Ich möchte es genau so, wie es ist, auch wenn es nicht der leichteste Weg ist. Die Äpfel geben meinem Leben Sinn. Also sie verarbeiten zu müssen, wenn ich nicht möchte, dass sie verderben. Eine Aufgabe zu haben, so wie jemand anderes mit seinem Hund raus muss, damit er sich erleichtern kann oder aufstehen muss, um einer wichtigen Arbeit nachzugehen. Klingt irre, oder? Solange meine Kinder noch fiebernd auf meine Rückkehr von der Arbeit warteten und diese mich ordentlich in Beschlag nahm, stellte ich mir die Sinnfrage eigentlich nie. Wann auch. Inzwischen drängt sie sich mir immer mal wieder auf. Ich mag schon wissen, warum ich jeden Tag aufstehe, einkaufe, aufräume, Essen mache und vieles andere, um am nächsten Morgen wieder von vorne anzufangen.
Da gibt es selbstverständlich überzeugende Argumente wie die Liebe, Familie, Freundschaft, soziale Kontakte, füreinander da sein. Manche Menschen haben ihren Glauben an Gott oder Allah, der ihrem Leben Sinn gibt. Es gibt aber auch jenseits davon das richtig Große, das Kosmische, das Bewusstsein, ein winziger Teil vom Ganzen zu sein, einen Platz zu haben und eine ganz bestimmte Aufgabe. Ich fühle mich mit der Natur verbunden, sie gibt den Lebensrhythmus vor – essen was gerade wächst und verarbeiten, was in Hülle und Fülle da ist, um es in Zeiten zu essen, in denen Mangel an Frischem herrscht. Wissen, was den Frost braucht und was die Sonne. Und dass nach dem Winter der Frühling kommt. Diesen Rhythmus wertzuschätzen und in seinem Takt zu leben, fühlt sich für mich wirklich groß an.
Meinem Vater, der in Zeiten des Mangels aufgewachsen ist, kommt diese freiwillige Beschränkung auf regionale und saisonale Lebensmittel bestimmt wunderlich vor. Wie glücklich war die Kriegs- und Nachkriegsgeneration doch, als sie endlich keine Zuckerrüben mehr essen musste, sondern in Hülle und Fülle importieren konnte, was das Herz begehrte, sommers wie winters. Endlich kulinarische Vielfalt. Und jetzt muss er wieder Kohl bei mir essen, der Ärmste. Naja, so ganz streng geht es bei uns auch nicht zu. Es ist eher mein Bedürfnis, als das meiner Familie. Aber man muss ja immer ein paar Kompromisse schließen im Leben.
Vielleicht brauche ich diese Art von Bodenhaftung, um nicht den Halt zu verlieren in einer Welt voller Umbrüche, in der so große Dinge passieren, dass ich es manchmal seltsam finde, über kleine zu schreiben. In der ich gar nicht hinterherkomme, über alle wirklich wichtigen Dinge zu schreiben und ich mir manchmal garnicht schnell genug eine eigene Meinung bilden kann. Da ist es manchmal viel einfacher, ein paar Äpfel aus der Kammer zu holen und anzufangen, zu schälen. Im Gegensatz zum Nachdenken über diese komplexe Welt kommt dabei wenigstens immer etwas Sinnvolles heraus.