Kein Schonwaschgang

Früher hätte ich darauf gewettet, dass man jenseits der Teenagerzeit keine Pickel mehr bekommt. Ein ebenso großer Irrtum wie die Annahme, man habe seine Lebensthemen als junger Erwachsener aufgearbeitet und könne dann ein halbwegs unbeschwertes Leben führen. Die Überbehütung der Mutter, die fehlende Anerkennung des Vaters, die Ehekonflikte der Eltern, whatever. Die Wahrheit ist, dass sich in der Mitte des Lebens erneut all diese Themen wieder in den Vordergrund drängen, weil wir merken, dass die Glaubenssätze und Muster unserer Kindheit das gesamte Leben prägen. Jetzt, wo die Kinder langsam flügge werden, finden wir ausreichend Zeit, uns zu zermartern. Und sich mit Teenagern auseinanderzusetzen, ist auch nicht gerade ein Schonwaschgang.

Als wäre das nicht schon genug, kommen zu den alten Themen auch noch neue hinzu. Enttäuschungen, Einsamkeit, geplatzte Lebensträume, Trümmerlandschaft. Das ist kein Spaß, wenn auf einmal fast das gesamte soziale Umfeld zu straucheln beginnt und es selbst schwerfällt, die Fahne hochzuhalten. Dazu kommt auch noch diese Hormonumstellung bei uns Frauen. Das weichspülende Östrogen nimmt kontinuierlich ab und das Testosteron gibt zunehmend den Ton an. Also Schluss mit Verständnis und Kompromissen, ab jetzt wird kurzer Prozess gemacht. Ganz schön anstrengend zuweilen. Zudem fehlen der Lebensmitte einfach die „Fun Facts“. Vorbei die Zeiten, in denen man über den letzten One-Night-Stand, den neuen Job oder den ersten Zahn des Säuglings sprach. Während es mir beim ersten Small Talk über Inkontinenz noch die Schamesröte ins Gesicht trieb, gehört das mittlerweile zum daily business. Arthrose, künstliches Hüftgelenk, Lesebrille, alles Standard inzwischen. Puh.

Vor einiger Zeit war ich mit zwei Freundinnen bei „Bierchen & Bühnchen“, einem netten Kneipenfestival in Nürnberg Gostenhof. Zum Glück sind wir drei weitestgehend schambefreit und haben ausreichend Humor, um uns hemmungslos unters Jungvolk zu stürzen. So viele Rotzbremsen* habe ich noch nie auf einen Haufen gesehen, dazu Mützen und Oversize Sweatshirts, nett anzusehen. Wir fanden sogar recht aparte Gesellschaft, die uns aber irgendwann ganz uncharmant darauf aufmerksam machte, dass wir einer ganz anderen Liga angehörten. Auf die Frage nach dem besten Club für den Abend, bekamen wir die Antwort, ob es bei uns denn kein Google gäbe. Haha. Jedenfalls habe ich festgestellt, dass solche Veranstaltungen eines gewissen Trainings bedürfen, damit ich nicht eines Tages postwendend wieder umkehre angesichts der Enge, der Luft, der Geräuschkulisse und der permanenten Suche nach einer Toilette, denn das Bierchen muss ja wieder raus.

Apropos Training, das müsste in dieser Lebensphase eigentlich unsere Hauptbeschäftigung sein. Beckenbodentraining gegen die Inkontinenz, Hanteltraining, wechselseitig auf einem Bein stehend, für Kraft, Gleichgewicht und Koordination, Dehnungen gegen die Steife der Gelenke, ausgewogenes Essen wegen des gefährlichen Bauchfetts, Fremdsprachen und Schach gegen Demenz. Vorbeugen ist die Aufgabe, denn fangen wir erst an, wenn wir Einschränkungen bemerken, ist es womöglich schon zu spät. F*ck.

Also, Spaß geht anders. Außer, wir machen ihn uns. Wann immer es uns gerade möglich ist. Die Feste feiern, wie sie fallen. Uns mit Menschen umgeben, die uns guttun. Tanzen, Singen und Lachen, für ein bisschen mehr Leichtigkeit in der Mitte des Lebens, bis es wirklich wieder leichter wird.

*Hipster – Oberlippenbärte

Mitten drin – 45

Als wir diesen Sommer aus Gründen der Einfachheit und ein wenig auch der Nostalgie zum Geburtstagspicknick in den Park luden, war das ein sehr schöner Abend mit Familie und Freunden, jedoch, wie wir bald merkten, in seinem Format völlig ungeeignet für Menschen jenseits der 40, denn die Decken blieben die meiste Zeit leer. Die wenigen mitgebrachten Campingstühle waren stets besetzt und rund um die Liegewiese bildete sich rasch ein Stehempfang. So mancher hatte es mit den Knien, andere fanden Picknick schon immer schrecklich, das mit den Krümeln und dem Essen ist auch nicht jedermanns Sache, man kann sich nicht anlehnen und so weiter und sofort.

Manche Dinge sind eben irgendwann vorbei. So verhält es sich beispielsweise auch mit dem Stringtanga oder dem bauchfreien Top, irgendwann spricht da bei den meisten Menschen so einiges dagegen und das ist auch ganz gut so. Und ich bin da mittendrin mit meinen 45 und, ganz ehrlich, ich finde, es gibt spaßigere Zeiten im Leben. Für mich ist es die Lebensphase der Desillusion.

Man erkennt, dass man nicht mehr alles reißen wird im Leben, weder beruflich, noch privat. Dass weder der Partner noch man selbst sich neu erfinden wird, sondern Muster und Marotten treue Begleiter auf dem gemeinsamen Lebensweg sind. Man spürt, dass Höhepunkte jeglicher Art immer rarer werden und vieles, auf das man einmal zugesteuert hat, bereits hinter einem liegt. Der erste Kuss, das erste Mal, die erste Wohnung, Führerschein, Hochzeit, Familie oder von was man sonst so geträumt hat.

Die herangewachsenen Kinder sind froh, wenn man nicht zu Hause ist, weil dann niemand mit irgendwelchem Schulkram oder sonstigen Aufgaben nervt. Sich die Freiheit zu nehmen, tagelang zu verreisen und wieder zu machen, was man selbst will, funktioniert natürlich trotzdem noch nicht. Sie brauchen einen ja doch noch. Allerdings ist die Funktion als Haushälterin und Hausaufgabenbetreuung nicht wirklich befriedigend.

Und dann ist da noch das herannahende Klimakterium mit seinen kleinen, gemeinen Überraschungen wie verkürzten, verlängerten, verstärkten oder sonst wie anders gearteten Zyklen und deren unsymphatischen Begleiterscheinungen. Übellaunigkeit und Intoleranz bekommen irgendwie eine ganz neue Tiefe. Fast wie mit dreizehn. Haushalte mit Mutter in den Wechseljahren und pubertierender Tochter versprechen wirklich Wohlfühlatmosphäre.

Diese Lebensphase hat natürlich auch sein Gutes und ich möchte nur bedingt negativ klingen. Ich habe mehr Zeit für mich, als je zuvor, seitdem ich Mutter geworden bin und habe im vergangenen Jahr bestimmt zwanzig Bücher gelesen. Also vielleicht braucht es die körperlichen Symptome der nahenden Wechseljahre, um einer vollkommenen Intellektualisierung entgegenzusteuern.

Ich gehe mal davon aus, dass das alles irgendwie Sinn macht und bin gespannt, wohin die Reise führen wird. Klimakterium kommt übrigens aus dem Griechischen und bedeutet so etwas wie kritischer Zeitpunkt im Leben. Tröstlicherweise bin ich in diesen Zeiten nicht allein und das macht schon alles viel besser.

Also, ihr Lieben, wir rocken das!

Mehr als 40 – mit großer Dankbarkeit

Ihr schreibt, wie sich Euer Leben mit mehr als 40 anfühlt. Hier kommt der dritte Beitrag:

Mehr als 40_die dritte

Ich bin erst mit Mitte 30 sehr unerwartet Mutter geworden und damals irgendwie (gefühlt) „stehen geblieben“. Ich bin mit meinem Körper und Aussehen im Großen und Ganzen zufrieden und vor allem sehr dankbar. Vielleicht rührt diese Dankbarkeit auch daher, dass ich mit 19 Jahren einen Bandscheibenvorfall hatte und im Jahr darauf aufgrund einer neurologischen Erkrankung einige Wochen im Rollstuhl saß. Alles was danach kam, war besser als das von Cortison aufgeschwemmte Ich, das nicht mehr richtig laufen konnte. Daher stehe ich den kleinen Ärgernissen des Älterwerdens recht gelassen gegenüber. Vermutlich steuere ich mit meinen 48 Jahren auch auf die Wechseljahre zu, die ich bei Freundinnen als sehr gravierenden Einschnitt mit allen möglichen Beschwerden miterlebt habe. Noch spüre ich davon wenig. Meine Mutter war in meinem Alter bereits tot und auch diese Erfahrung hat mich sicherlich sehr geprägt. Auch habe ich mich nie über mein Aussehen definiert, weil das bei uns in der Familie klar zu meinen Ungunsten verteilt war. Ich war zudem bisher in einem Bereich tätig, wo eine gewisse körperliche Fitness und Schnelligkeit zwar von Vorteil ist, aber keineswegs Voraussetzung. Im Moment verändert sich das, da ich seit kurzem nicht mehr direkt mit sogenannten „erziehungsschwierigen“ Kindern arbeite, sondern in der Erwachsenenbildung. Ich bin gespannt, was das mit mir macht, kann aber jetzt schon sagen, dass mir die Kinder fehlen. Gleichzeitig bin ich sehr froh und dankbar, einen festen und unbefristeten Job zu haben, der mir ein gesichertes Einkommen ermöglicht und mir meistens Spaß macht. Das geht in meinem Alter längst nicht allen Frauen so. Außerdem macht sich mein Pubertier mit Riesenschritten auf in die Selbstständigkeit. Dadurch ist plötzlich wieder mehr Zeit frei und die möchte ich für mich nutzen. Ich weiß, dass mir das durchaus schwerfallen wird, da die letzten Jahre sehr vollgestopft waren mit Familie und Arbeit. Deshalb freue ich mich auf den neuen Abschnitt, habe aber auch ein bisschen Respekt davor. Musik und Sport machen, mit Erde und Holz arbeiten, lesen – Ideen habe ich viele, bisher hapert es noch mit der Umsetzung.

(Kathrin, 48)