Gestern Nachmittag saß ich auf dem Balkon, um das Kilo Kirschen zu entsteinen, welches unser guter Landwirt Heribert aus Uffenheim der Solawi(https://meedchenwargestern.com/2022/04/08/1-jahr-solawi-ein-resumee/ als Obstanteil zugedacht hatte. So wie ich früher unsere Kinder Kirschen oder Blaubeeren nur unbekleidet essen ließ, wählte ich einen schwarzen Bikini, um mich vor kaum mehr zu entfernenden Spritzern zu schützen und die Nachbarschaft mit meiner Blöße nicht gänzlich zu erschrecken. Das Fruchtfleisch der Kirschen war im Umfang kaum merklich größer als der darin befindliche Kern, so dass ich Zweifel hatte, ob unsere altertümliche, äußerst schlichte Apparatur ihn würde lösen können. Doch es gelang, wenn auch etwa jede dritte Kirsche aufgrund ihrer schlanken Maße mitsamt dem Kern ins darunter liegende Auffangbecken entschwand. Ich rettete jene aus diesem, pulte nochmals händisch die gelösten, doch noch anhaftenden Kerne meiner bearbeiteten Kirschen ab und entfernte nebenbei den ein oder anderen Wurm, den ich als Vegetarierin nicht mitzuessen gedachte. Während ich mich in diese Aufgaben vertiefte, begann ich darüber zu sinnieren, welch geringe Wertschätzung so ein Glas gekaufter Sauerkirschen erfuhr und wie leicht sich eventuelle Reste entsorgen ließen, wenn man weder den Prozess des Wachstums von der Blüte bis hin zur Reife der Frucht verfolgt noch sich den Mühen der Verarbeitung hingegeben hatte. Und wie sehr man sich im Umkehrschluss – in meinem Fall einem Kuchen -verbunden fühlen konnte, wenn man dem Wunder seiner Entstehung beiwohnen durfte.
Anfang Mai entdeckte ich ein Päckchen Samen für eine Blumenmischung auf dem Fenstersims unseres Balkons, seit Jahren den Gezeiten ausgeliefert, doch immerhin vor Regen geschützt, und beschloss, den Versuch zu wagen, sie in einem Blumenkasten in die Erde zu stecken und anzugießen, anstatt wie sonst ein paar Balkonblumen kaufen zu gehen. Was für ein Wunder, als bald darauf wider Erwarten die ersten grünen Triebe aus der Erde lugten. Nun, sechs Wochen später, ist das Grün üppig gediehen, es zeigt das Bedürfnis, sich an etwas emporzuranken, worauf ich partout nicht vorbereitet war. Es ist ein wenig wie bei dem kleinen süßen Mischlingswelpen, der sich eines Tages während seines Heranwachsens als vollkommene Mogelpackung entpuppt – zu lange Beine, zu kurzer Rumpf, zu platte Schnauze und auch noch andersfarbig als seine Erzeuger. Naja, Blüten sind noch nicht im Geringsten zu erahnen, aber interessant sieht mein kleiner Dschungel aus. Sie werden sich wohl erst zeigen, wenn der Sommer fast vorbei ist. Das Wunder des Lebens verlangt eben Geduld und Offenheit, sich auf das einzulassen, was da kommt, denn so ganz planbar ist es nicht. Unsere Kirschen sind schließlich auch nur so klein, weil es in der entscheidenden Phase zu wenig geregnet hat, sagt Heribert. Und der muss es wissen.
Was für ein reicher Mensch muss demnach ein Gärtner sein, dem das Wunder des Lebens wieder und wieder begegnet? Er lebt im Rhythmus mit der Natur, sät, wenn gesät werden muss, setzt um, wenn umgesetzt werden muss und erntet, wenn die Zeit und natürlich das Obst reif sind. Er flucht eventuell, wenn alles verarbeitet werden muss, oder die Schnecken einen Großteil der Ernte vernichtet haben und doch widerfährt ihm ein Glück, von dem er vielleicht gar nichts ahnt, so alltäglich ist es geworden. Denn diese Arbeit gibt dem Leben nicht nur Struktur, sondern sogar Sinn! Er wird gebraucht und jeden Tag wartet eine neue Aufgabe. Wie erfüllend. Oder etwa nicht? Es wäre ein Trugschluss, wenn wir nun all begännen, einen Garten zu beackern, um unser Glück zu finden. Die einen bekämen Rücken, die anderen Verzweiflung, weil einfach nichts wüchse. Zu letzteren gehörte wohl ich. Nein, das ist es wohl noch nicht ganz.
Schon während ich versuchte, meine Balkonpflanzen mit ein paar Strichen für Euch festzuhalten, entwuchsen sie mir Stück für Stück. Die Triebe schoben sich fast unmerklich weiter, die Blätter drehten sich und die Sonne beleuchtete auf einmal alles in einem ganz neuen Winkel. Vielleicht liegt darin der Weg zum Glück, ab und zu mal nichts anderes zu tun, als dazusitzen, sich auf etwas einzulassen und wahrzunehmen.
Kirschen im Supermarkt finde ich seit gestern auf jeden Fall etwas fake – die haben überhaupt keine Würmer.