Von einem Tag auf den anderen ist er doch vorbei, ganz still und leise. Schon lange hat sich ein Sommer für mich nicht mehr so endlos angefühlt wie dieser. Er war, genau genommen, der Beste seit langem. Die Schönwetterperiode hielt mehrere Monate am Stück an, zum Leidwesen der Landwirtschaft nur von wenigen Schauern unterbrochen, die kaum der Rede wert waren. Und obwohl mir die Klimaentwicklung große Sorgen bereitet und andernorts zu verheerenden Waldbränden führte, verhalf sie mir hier zu ungezählten lauen Sommerabenden, Tagen mit bestem Freibadwetter und Nächten, die meist kühl genug blieben, um gut schlafen zu können. Also beste Bedingungen für ein leichtes Lotterleben oder musikalisch ausgedrückt: „Summertime, and the livin` is easy“, Gershwins berühmter Song aus Porgy and Bess, der mir automatisch auf die Lippen kommt, wenn sich das Leben eben gerade so anfühlt.
Dass dieser Sommer so besonders wurde, lag aber auch daran, dass meine pubertierenden Sprösslinge mehrfach täglich meine Abwesenheit einforderten, am besten 24h/Tag, um besser chillen und zocken zu können und mich damit hochoffiziell in die Freiheit entließen. Meine persönliche Wegrationalisierung, wie ich sie gerne nenne, ist tatsächlich das einzige wirksame Mittel, ihr antriebsloses Amoebentum zu Hause auch nur im Ansatz ertragen zu können. Das schlechte Gewissen, mich nicht um die lieben Kleinen zu kümmern, gehört endlich der Vergangenheit an, gesunder Egoismus und Selbstfürsorge sind meine neue Maxime. Also stürzte ich mich ins pralle Leben, Openairkino, Radtour zum See, Absacker draußen hier, Aperitivo da, Sekt auf dem Balkon, Konzerte und Picknick im Freien, und alles wieder von vorne, herrlich. Mein großes Glück war, dabei wunderbare Gesellschaft zu haben, denn auch anderer Leute Kinder werden älter. Ich halte dies Jahr jedenfalls mit Abstand den Rekord an Freibadbesuchen in unserer Familie!
Ein anderer Umstand, der diesen amüsierträchtigen Sommer ermöglichte, war der Mangel an beruflichen Aufträgen. Alle meine Kund*innen schienen dies Jahr- vermutlich aus pandemiebedingtem Nachholbedarf – besonders ausgiebig in den Urlaub fahren zu wollen, so dass ich mich bereits Wochen vor unserem eigentlichen Sommerurlaub mit wenigen Unterbrechungen in Zwangspause befand. Total tote Hose. Dies trübte meine Stimmung ein wenig, da ich rasch bemerkte, dass ausschweifendes Amüsement nicht umsonst zu haben ist und ich wesentlich öfter den Geldautomaten aufsuchte, als Geldeingänge meinem Geschäftskonto gutgeschrieben wurden. Ich schob die Bedenken schnell zur Seite, denn wer wusste schon, wie viele solcher Sommer ich noch würde erleben dürfen?
Jedenfalls fühlte es sich seltsam irreal an, als wir dann Ende August tatsächlich in den Urlaub fuhren. Es erschien mir sonderbar, mich von der Erholung erholen zu sollen, zumal ich mich eigentlich der Gattung der Arbeitsbienen zugehörig fühle. Wie gut, dass so ein Urlaub dann doch die ein oder andere Überraschung bereithält und nicht nur den Müßiggang. Aus Venedig vertrieb uns rapido eine Mückenplage, die keine Überraschung hätte sein müssen, hätten wir vorher das Internet dazu befragt. Besonders Tigermücken fühlen sich in der Lagunenstadt äußerst wohl, wir uns deshalb eher nicht. Wasser auf den Mühlen des Kindes, das sowieso am liebsten nicht mit uns in den Urlaub gefahren wäre, Stimmung im Keller. Den besten Cappuccino haben wir übrigens in Österreich getrunken und nicht in Italien, aber vielleicht lag auch das an den Mücken und der verhagelten Laune. Wir suchten Zuflucht in den slowenischen Bergen und bekamen es mit einem übereifrigen Platzwart zu tun, der schon morgens um halb neun Fußmatten mit lautem Getöse abkärcherte und dabei laut slowenische Volksmusik hörte. Die klingt übrigens nicht anders als deutsche, die Völkerverständigung auf diesem Gebiet scheint also zu funktionieren. Schade, dass wir sie nicht mögen. Dass die wunderschöne Soca nur etwa 13 Grad hat, war ebenfalls eine Überraschung, von der wir uns aber nicht davon abhalten ließen, „Schwimmen“ zu gehen, falls mal dreisekündiges Eintauchen ins Wasser so nennen darf. Das Meerwasser an der kroatischen Adriaküste ließ uns dann wieder auftauen und der Urlaub fand sein Happy End auf einem kleinen, bescheidenen Segelboot, das uns durch die Gegend schipperte. Sonne satt bis zum Schluß.

Jetzt ist er vorbei, der vermeintlich endlose Sommer. Ich trinke meinen Morgenkaffee mitunter wieder im Dunkeln, die Tage sind bereits deutlich kürzer und es regnet gerade – und das ist gut so.
Und ich habe Sonne satt und viele schöne Erlebnisse getankt, um davon in der dunklen Jahreszeit zu zehren, die jedes Jahr länger zu werden scheint und eine immer größere Herausforderung für uns nicht mehr ganz junge Menschen darstellt. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar, diesem endlosen Sommer.